Die Rebbetzin Dorit Grant Kohn engagiert sich für die Gleichstellung der Frauen im Judentum. Vieles habe sich schon zum Guten verändert.
Text: Hannah Einhaus
Foto: Pascale Amez
Dorit Grant Kohn ist nicht einfach die Frau des YB-verrückten Rabbiners Michael Kohn der jüdischen Gemeinde in Bern. Sondern sie setzt mit ihrem Religionsunterricht für Mädchen, ihrer Wissensvermittlung für Frauen und ihren pointierten Ansichten fortschrittliche und neue Akzente punkto Gleichberechtigung von Mann und Frau im Judentum.
Aufgewachsen ist die studierte Politologin in einer religiösen Familie, die von England nach Israel übersiedelte. Damals war sie ein Jahr alt. Ihren Mann, einen gebürtigen Norweger, lernte sie an der Universität Jerusalem kennen, wo beide Judentum und Hebräisch für englischsprachige Studenten unterrichteten. Sie heirateten 2012 und zogen 2016 mit ihrer kleinen Tochter Mia nach Bern, wo ihre zwei weiteren Kinder Benjamin und Liora zur Welt kamen. Um sich auf die Rolle als Frau des Rabbiners, als Rebbetzin, vorzubereiten, studierte die 32-Jährige jüdisches Recht und absolvierte zusammen mit ihrem Mann auch einen Kurs in praktischer Gemeindeleitung.
«Auch Mädchen und Frauen sollen fühlen: Die Tora ist unsere Tora.»
Eine im orthodoxen Judentum weitverbreitete Haltung lautet: Männer und Frauen sind gleichwertig, aber anders. Das Lernen der Schriften und die Gottesdienste sind Männersache. Frauen widmen sich primär ihren häuslichen Pflichten. Kohn, die sich selbst als orthodox bezeichnet, widerspricht dieser Auffassung und setzt hier einiges in Bewegung: «Alter und Geschlecht dürfen keine Rolle spielen.
Je mehr wir wissen, desto mehr fühlen wir uns miteinbezogen.» Dem Unterricht für Hebräisch und Liturgie misst sie daher bereits im Religionsunterricht der Kinder grosse Bedeutung bei, für Mädchen wie für Buben. «Mein Mann spricht oft davon, dass unser Judentum wie eine Muttersprache sein soll. Auch Mädchen und Frauen sollen fühlen: Die Tora ist unsere Tora.»
Orientierung nicht verlieren
«Allein in den letzten 20 Jahren hat sich sehr viel verändert», sagt Kohn. Die moderne Orthodoxie wolle Tradition und liberale Werte verbinden. «Grundwerte wie Gleichheit von Mann und Frau, Gerechtigkeit und Menschenwürde gehören zum Fundament im Judentum.» Es sei eine lebendige, dynamische Religion, die sich der jeweiligen Umgebung anpasse, ohne den Kompass der Halacha, der jüdischen Gebote und Verbote, zu verlieren.
Der Spielraum für Frauen sei deutlich grösser, als gemeinhin in orthodoxen Kreisen angenommen werde. «Ich glaube, dass es im Judentum diskriminierende Regeln gibt, die angegangen werden müssen», ist die Berner Rebbetzin überzeugt. Als Beispiel nennt sie das Verbot von weiblichen Zeugen vor jüdischen Gerichten, bei Hochzeiten oder Übertritten. Dies sei keine Frage der Geschlechter. «Diese Regeln sollten als diskriminierend anerkannt werden.»
Kohn steht mit diesen Forderungen nicht alleine da. Vielmehr vernetzt sie sich seit Jahren in einer grossen Community: «Ich bin Teil von vier feministischen, modern-orthodoxen Facebook-Gruppen, die sich über ihre Erfahrungen austauschen.» Sie macht sich aber keine Illusionen: «Der Weg zur Gleichstellung ist überall ein langsamer Prozess, ob wirtschaftlich, politisch, gesellschaftlich oder eben auch religiös.»