Zwei Kulturschaffende erinnern sich: Franz Hohler

Der Schweizer Literat Franz Hohler erlebte in der «Christenlehre» den «Charme einer Minderheitenkirche».

Aufgezeichnet von Anouk Hiedl
Foto: Luchterhand Literaturverlag

 

«Ich bin in einer christkatholischen Familie aufgewachsen. Dadurch fühle ich mich mit diesem Glauben verbunden. Aus mir wurde zwar kein gläubiger Christ, ich bin aber nie ausgetreten, weil die Kirchen in unserer Zeit eine Aufgabe haben: als Gegengewicht zur temporeichen Oberflächlichkeit, als Ort der Besinnung und auch als Helferinnen der Bach-Kantate ‹Die Elenden sollen essen›.

Mein Vater ging mit einer gewissen Selbstverständlichkeit in die Kirche. Das diente mir als Vorbild. Als Erwachsener fragte ich ihn einmal, ob er eigentlich an ein ewiges Leben glaube. Ebenso selbstverständlich sagte er Nein. Aber er war Kirchgemeindepräsident.

 

«Aus mir wurde zwar kein gläubiger Christ, ich bin aber nie ausgetreten, weil die Kirchen in unserer Zeit eine Aufgabe haben.»

 

In unserer ehemaligen Primarschulklasse gab es nebst mir nur noch einen weiteren Christkatholiken. In der vierten Klasse durften wir zwei die Schule etwas früher verlassen, weil wir zusammen auf die andere Aareseite in den Religionsunterricht mussten, der damals Christenlehre hiess. Das gab uns das Gefühl, etwas Besonderes zu sein – der Charme einer Minderheitenkirche …

Im Religionsunterricht lernte ich, dass Jesus Christus für uns gestorben sei. Das Alte Testament beeindruckte mich allerdings fast mehr als das Neue, weil es in stärkerem Mass Geschichten erzählt.

In der Kirche war ich eine Weile lang Messdiener. Von der Sakristei aus sah ich auf die Hinterseite des Altars. Vorne war dieser ein geheimnisvolles Heiligtum Gottes, mit Brokatdecken, silbernen Kerzenständern und einem golden glänzenden Tabernakel. Die Hinterseite aber war ganz normal verputzt, und davor stand ein Kübel mit einer Fegbürste. Dieses Bild ist wohl mit ein Grund für meine Skepsis allem gegenüber, was würdevoll und respektgebietend daherkommt. Seither vermute ich dahinter stets eine bedeutend weniger edle Rückseite.»

Franz Hohler, 81
Schriftsteller, Kabarettist und Liedermacher

 

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