Lulzim Memedi

Der Muezzin von Bern

Für Mehmeti Lulzim ist der Gebetsruf Alltag und Teil seines Glaubens. Doch er warnt davor, die Segensworte für Verbrechen zu missbrauchen..

Text: Tilmann Zuber
Foto: Annette Boutellier

 

Mehmeti Lulzim setzt an und holt tief Luft. Und dann erschallt sein Ruf «Allahu akbar, Ashadu an la ilaha illa ilah» (Allah ist gross, ich bezeuge, dass es keine andere Gottheit gibt ausser Allah) durch die Halle. Dies nicht vor Tausenden Gläubigen in Mekka oder Istanbul, sondern im beschaulichen Bern. Mehmeti Lulzim ist Muezzin der Moschee, die im Haus der Religionen am Europaplatz untergebracht ist. Für seinen Gebetsruf steigt er auf kein Minarett, er wendet sich von der Empore herab an die Gläubigen, die sich im grossen Raum versammelt haben.

Beliebtes Freitagsgebet

Fünfmal am Tag ruft der 43-Jährige zum Gebet. Erstmals in den frühen Morgenstunden bei Sonnenaufgang lässt er seine Stimme während zehn Minuten durch das Mikrofon ertönen. Der Ruf endet stets mit dem Glaubensbekenntnis «Gott ist gross, es gibt keinen anderen Gott als Allah». Das wichtigste Gebet sei das Freitagsgebet, erklärt er. Daran nähmen die meisten Gläubigen teil.

Mit zwölf Jahren hat Mehmeti Lulzim als Muezzin angefangen. Seine Familie stammt aus Skopje in Nordmazedonien. Aufgewachsen ist er in einem konservativen Haushalt. Der Glaube bestimmt das Familienleben der Lulzims, angefangen bei den Grosseltern bis hin zu seinen eigenen Kindern. Lulzim kann arabisch lesen, beten und kennt Teile des Korans auswendig.

Die Aufgabe als Muezzin leistet er unentgeltlich, zusammen mit anderen. «Ich mache es gerne», sagt er. «Es ist eine Ehre, wenn man etwas für Gott und die Menschen leisten kann. Zudem hat Mohammed erklärt, wer dies ohne Belohnung in dieser Welt tut, wird in der nächsten belohnt.» Ja, er sei ein gläubiger Muslim und lebe, so gut es gehe, nach den Geboten des Korans. Fünf Mal am Tag zu beten, sei aufwendig. Wenn man sich aber dafür entschieden habe, gewöhne man sich daran. «Das Beten ist für mich zur Alltäglichkeit geworden wie Essen und Schlafen», stellt Lulzim fest. An seinem Arbeitsplatz bei Coop kann er nicht alle Gebetszeiten einhalten. Er hofft, dass sich die Arbeitgeber in der Schweiz da irgendwann mal flexibler zeigen.

Gläubig und tolerant

Mehmeti Lulzim nimmt seinen Glauben ernst, aber er grenzt sich klar gegen Intoleranz und Fanatismus ab. Jede Gottesreligion führe zu Gott, auch wenn die Menschen diesen Weg verschieden interpretierten. «Gott steht über allen Menschen», erklärt er. Diese Aussage ist ihm wichtig. Er ärgert sich, wenn Konservative Allah missbrauchen und Terroristen im Namen Allahs Verbrechen begehen.

«Wir Menschen sollten versuchen, uns zu verstehen, ohne andere zu manipulieren – auch nicht für den Glauben.» Er hofft, einmal einen Hadsch machen zu können, die Pilgerfahrt nach Mekka. Dann wird sich der Muezzin der kleinen Berner Gemeinde dem Strom der Tausenden Muslime anschliessen und dem Gebetsruf «Allahu akbar» ­folgen.