Gregory Gilbert-Lodge: The Last Supper

Dialog der Religionen: unscheinbar, aber wertvoll

Bunt und vielfältig ist die religiöse Landschaft in der Schweiz. Umso mehr braucht das Zusammenleben Interesse füreinander, Austausch und viel Geduld.


Text: Amira Hafner-Al Jabaji

Illustration: Gregory Gilbert-Lodge

 

Wer, wie ich, seit Langem im interreligiösen Dialog engagiert ist, kennt die Frage: Was bringt’s? Was bringt’s, wenn Menschen unterschiedlicher Religionen miteinander diskutieren, sich über theologische Themen austauschen oder gemeinsam beten? Diese Skepsis begegnet mir immer wieder, und ich kann sie nachvollziehen. Meist erreicht man mit interreligiösen Veranstaltungen tatsächlich nur die Leute, die ohnehin schon offen sind für den Austausch.

Dialog braucht Vertrauen

Was bringt’s, fragen sich auch die Verantwortlichen interreligiöser Anlässe, wenn sie wiederholt die Erfahrung machen, dass es zwar nett ist, ein Gespräch mit Tee und Imbiss zu organisieren, sich kennenzulernen, es aber danach nicht weitergeht: Es kommt zu keiner Gegeneinladung. Auf das erste Mal folgt kein zweites Mal. Man bleibt sich Antworten schuldig, traut sich nicht, heikle Fragen zu stellen, will keine Fehler machen. Denn über Differenzen nachzudenken, dabei auch Erwartungen, Verletzungen und Irritationen offenzulegen, bedarf einer gewissen Vertrautheit, Wertschätzung und des Gefühls von Sicherheit.

«Erst mit der Zeit zeigt sich, wie sinnstiftend der Dialog ist.»

All dies stellt sich nicht bei der ersten Begegnung ein. Gelingender ­Dialog braucht Zeit. Er ist erst trag- und ausbaufähig, wenn man einen längeren, bisweilen auch konfliktträchtigen Weg gemeinsam zurückgelegt hat. Wenn man zusammen etwas erreicht oder erstritten hat. Wenn sich alle Dialogpartner gleichermassen artikulieren und verständlich machen können. Und dabei Erfahrungen, Sichtweisen und Befindlichkeiten ungeschönt auf den Tisch legen können, ohne einen Affront zu riskieren.

Kein unmittelbarer Nutzen

Was bringt’s, fragen heute vor allem auch Menschen, die das Religiöse als eine überkommene Reminiszenz alter Zeiten sehen. Aber auch jene, die ihre Religion als Identitätsmerkmal betrachten. Für beide ist wenig plausibel, was der Austausch über die Religionsgrenzen hinweg bringen soll. Welche positive Wirkung das gemeinsame Nachdenken über Figuren in der Bibel oder im Koran für die Akzeptanz verschiedener Weltanschauungen oder für die Interessen der eigenen Community haben könnte. Schade, denn mit dieser Haltung, die vor allem nach dem unmittelbaren Nutzen fragt, vertut man sich leicht den Einstieg in ein unbekanntes Abenteuer, bei dem sich erst mit der Zeit zeigt, wie sinnstiftend, nutz- und gewinnbringend es ist.
In drei Jahrzehnten interreligiösem Dialog habe ich unermesslich viel gelernt und erlebt. Welcher Gewinn dabei für die Allgemeinheit erwachsen ist, lässt sich nicht beziffern. Doch heute weiss ich, Beziehungspflege an sich ist gesellschaftlich bedeutsam.

Nähe zur eigenen Religion

Der interreligiöse Dialog ermöglicht Bildung und Wissenstransfer, lehrt Empathie, Solidarität und Perspektivenwechsel, bietet gemeinsame Erfahrungen und Erinnerungen, schafft Kontakte und Vernetzung, fördert Auftrittskompetenzen und vieles mehr. Und nicht zuletzt hat mir der Austausch mit Menschen über die Religionsgrenzen hinweg nicht nur andere Religionen in differenzierter ­Weise nähergebracht, sondern auch meine eigene. Das bringt’s.

Amira Hafner-Al Jabaji

Muslimische Islamwissenschaftlerin, Publizistin, Präsidentin des Interreli­giösen Think-Tank