«Nach einem Friedensschluss fängt die grosse Arbeit erst an»

Dana Landau forscht bei der Schweizerischen Friedensstiftung Swisspeace. Sie erklärt, warum der Einbezug der Zivilgesellschaft für den Frieden wichtig ist und worüber sich Friedensforscher streiten.

Text: Christa Amstutz
Foto: Keystone (Kundgebung zur Unabhängigkeit, Pristina, Kosovo 2008)

 

Was hat der Angriffskrieg Russlands in Ihnen als Friedens­forsche­rin ausgelöst?

Dana Landau: Das Leid der Bevölkerung nimmt mich mit, und ich mache mir Sorgen um die regelbasierte internationale Ordnung. Es ist ein zwischenstaatlicher Angriffskrieg wie aus alter Zeit. In den letzten Jahrzehnten gab es vor allem innerstaatliche Konflikte, und diese wurden immer fragmentierter. ­Syrien ist so ein Beispiel. Doch ob zwischenstaatlicher Krieg oder Bürgerkrieg: Das Ziel sollte ein Ende der Gewalt und ein dauerhafter Frieden sein.

Was passiert nach dem ­öffentlichen Handschlag am Ende einer Friedensverhandlung?

Nach einem Friedensschluss lässt die internationale Aufmerksamkeit meist nach. Dabei fängt dann die grosse Arbeit erst an. Deshalb ist der Einbezug der Zivil­gesellschaft in die Friedensverhandlungen so enorm wichtig. Abkommen sind oft mit schmerzhaften Konzessionen für die Bevölkerung verbunden. Darum gilt es, die Meinung von Frauen-, ­Menschenrechts- und Opferorganisationen zuvor einzuholen, auch weil sie meist mehr Legitimation in den Augen der Bevölkerung haben. Im Fall von ­Kolumbien zum Beispiel wurde das durchaus ernst genommen.

Inwiefern?

Obwohl vieles nicht gelungen ist, hat man zumindest versucht, während der Verhandlungen möglichst breit auch die Bevölkerung zu befragen. Dafür wurden Versammlungen in verschiedenen Regionen Kolumbiens durchgeführt und Opfergruppen an die Verhandlungen eingeladen. Man hat auch eine Wahrheitskommission eingesetzt, um Menschenrechtsverletzungen zu dokumentieren. Für ihren kürzlich erschienenen Bericht wurden sogar Geflüchtete in der Diaspora befragt. Meine Kolleginnen haben dafür Interviews mit Betroffenen in der Schweiz geführt.

 

Dana Landau, Swisspeace

«Leider wird  die Aufrüstung  oft voran­ge­trieben aus rein wirt­schaft­lichen Interessen.»

 

Ist Swisspeace in der Ukraine ­tätig?

Vor Ort sind wir nicht aktiv. Wir haben aber einen Kurs auf Ukrainisch übersetzt, den wir schon länger auf Englisch anbieten. Er richtet sich an Akteure der Zivilgesellschaft und zeigt, wie man Beweise von Verbrechen sammelt und archiviert, um sie später für unterschiedlichste Bereiche verwenden zu können – zum Beispiel für Justizprozesse oder die geschichtliche Aufarbeitung. Mit dem Kurs können wir auch Expertinnen aus dem Balkan oder Syrien mit den Ukrainern ver­netzen.

Stichwort Balkan. Sie waren im Kosovo tätig. Was war Ihre ­Aufgabe?

Ich war einige Jahre nach dem Krieg dort und habe vor allem an Projekten für die Gewährleistung von Minderheitenrechten mitgearbeitet. Zum Beispiel die der serbischen Minderheit, aber auch der Roma. Dass in Bezug auf den Ukrainekrieg oft so berichtet wird, als wäre er der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg, irritiert mich etwas. In den Jugosla­wienkriegen sind über hunderttausend Menschen gestorben. Ausgeblendet werden auch die vielen Stellvertreterkriege, die ausserhalb Europas nach dem Zweiten Weltkrieg geführt wurden.

Swisspeace arbeitet auch im ­Bereich der Friedensmediation. Wie funktioniert das?

Friedensmediation versucht, den Konfliktparteien zu ermöglichen, eine gemeinsame Lösung zu finden. Wir wirken nicht selbst als Vermittlerin, sondern unterstützen in erster Linie Mediatorinnen in ihrer Arbeit. Wenn also zum Beispiel das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten EDA in einem Konflikt vermittelt, beraten wir das Team oder bringen es in Kontakt mit wichtigen Stimmen der Zivilgesellschaft in den betroffenen Gebieten. Ein anderes Beispiel: Von der Uno haben wir ein Mandat, den Sondergesandten für Syrien mit der syrischen Zivilgesellschaft zu vernetzen und so mehr Teilhabe am Prozess zu ermöglichen.

Als Reaktion auf den Ukrainekrieg wird überall aufgerüstet. Wie ist das für Sie als Friedensforscherin?

Das ist in der Tat ein schwieriges Thema. Auf der einen Seite löst solch ein Angriff die verständliche Reaktion aus, sich selbst möglichst gut zu schützen. Das kann aber auch zu einer gefährlichen Rüstungsspirale führen. Und leider wird die Aufrüstung oft vorangetrieben aus rein wirtschaftlichen Interessen. Trotzdem finde ich im Kontext des Angriffskrieges von Russland: Man kann nicht von der Ukraine verlangen, dass sie sich für den Frieden opfert. In dem Fall bin ich nicht gegen Waffenlieferungen.

Das sehen nicht alle Friedensforschende und Friedensbewegte so.

Ja. Grob gesagt gibt es drei Positionen. Eine ist: Wenn man die Ukraine unterstützt, wirkt das eskalierend, man muss das Land drängen, einen Kompromiss einzugehen. Das stösst jedoch auf heftige Kritik. Die Gegenargumente sind: So fühlt sich Putin ermächtigt, in ein paar Jahren zum Beispiel die baltischen Staaten anzugreifen. Es geht nicht nur darum, einen dritten Weltkrieg zu verhindern, sondern die Frage ist, welche Weltordnung wollen wir. Man kann souveränen Staaten nicht das Recht absprechen, selber zu entscheiden, wie sie sich politisch organisieren. Ich teile diese Meinung.

 


Die Schweizerische Friedensstiftung www.swisspeace.ch ist ein unabhängiges, praxisorientiertes Institut für Friedensforschung und -förderung mit Sitz in Basel. Es analysiert bewaffnete Konflikte und entwickelt Strategien für deren nachhaltige Beilegung.

 

Und die dritte Position?

Das ist die radikal pazifistische Haltung: Man soll mit den Waffenlieferungen aufhören, um Menschenleben zu retten. Dem kann man entgegenhalten: In einem Angriffskrieg würde dies Besatzung bedeuten, was mit grosser Gewalt einhergeht, wie wir im Osten der Ukraine seit 2014 sehen können.

Glauben Sie überhaupt an eine Welt ohne Krieg?

Konflikte wird es wohl immer geben, diese müssen aber nicht zwingend mit bewaffneter Gewalt ausgetragen werden. Ich finde es aber wichtig, die Hoffnung auf eine Welt ohne Krieg aufrechtzuerhalten und auch daran zu arbeiten. Man muss sich vor Augen führen, wie schnell sehr viel zerstört ist und wie schwierig es ist, all das wieder aufzubauen. Ganz zu schweigen von den vielen Toten und den Wunden, die vielleicht nie geheilt werden. So wie jetzt in der Ukraine.