Myanmar

Reden ist Silber, Schweigen ist Gott

Still sein, die Gedanken einfach loslassen und Platz schaffen für das, was unaus­sprechlich ist: Gläubige aus allen Religionen kennen die Praxis des Schweigens und den Ort des wortlosen Seins.

Text: Christa Amstutz
Foto: Annette Boutellier

 

«Der interreligiöse Dialog findet im Schweigen statt», ist Peter Hüseyin Cunz, pensionierter Ingenieur und Scheich des Sufiordens der Mev­levi, überzeugt. Nur in der Stille begegne man einander wirklich. Denn ob Christ, Buddhistin oder Muslim, das Ziel sei immer dasselbe: «Wir besteigen alle den gleichen Berg – einfach auf unterschiedlichen Wegen.» Und was wartet auf dem Gipfel? «Einheit in der Stille. Formen und Worte sind verschwunden.»

Dennoch besteht Religion für den Ordensleiter dieser mystischen Variante des Islams nicht einfach aus Schweigen. Die Ritualgebete seien eine Freude, Worte stünden beim Dhikr, dem Gottesgedenken der Sufis, wo vor allem Gottesattribute gesungen werden, im Zentrum. Um sich wiederum von Worten und Gedanken zu lösen, drehen sich die Mevlevi in ihrem Drehritual um die eigene Achse. «Bei dieser Übung nehmen wir den Körper zu Hilfe», erklärt Cunz. Der drehende Körper stabilisiere das medita­tive Verbleiben in der Herzensmitte. «Denn sobald man denkt, verliert man das Gleich­gewicht.»

Leben statt denken

Loten Dahortsang schweigt oft. Während der Mahlzeiten und natürlich während der Meditation, in der man «die Kunst übt, nicht zu denken, sondern zu leben». «Das Denken ist in die Vergangenheit oder die Zukunft gerichtet, doch es geht um das Jetzt», sagt der Buddhist. Mit 14 Jahren ist Dahortsang aus dem Tibet ins klösterliche Institut Rikon im Zürcher Oberland gekommen. Der Meditationslehrer hat seither viele Menschen in die Stille begleitet. «Ein guter Anfang, um sich von Gedanken zu lösen, ist, das Schweigen zu üben – beim Trinken, Essen, Gehen.»

 

«Der Ort, an dem man Gott begegnet, ist ein wortloser Ort.»

Sasikumar Tharmalingam, Hindupriester

 

Schweigen sei im Buddhismus nicht nur für die Meditation wichtig, betont Dahortsang. Im alltäglichen Zusammenleben gelte es ebenfalls, lieber zu schweigen, als ins Geschwätz zu verfallen.

Frei vom Gedankenkarussell

Dass Schweigen und Stille herausfordernd sind, weiss auch Schwester Dorothea von der ökumenischen Kommunität Grandchamp und dem dazugehörenden Sonnenhof. Menschen, die aus dem normalen Alltag kämen, täten sich manchmal schwer, wenn da plötzlich nicht viel mehr sei als das Wort Gottes an den Stundengebeten und die Stille. «Dann geht das Karussell der Gedanken erst recht los.» Um den Gästen den Einstieg zu erleichtern, wird denn auch ab und zu Musik abgespielt während der schweigend eingenommenen Mahlzeiten.

Nebst dem Schweigen während des Essens vertiefen sich die Schwestern morgens und abends für eine halbe Stunde ins persönliche stille Gebet. Dort haben biblische Worte durchaus ihren Platz. Dass aber auch unerwünschte Worte und Gedanken sehr laut werden können, kennt Schwester Dorothea aus eigener Erfahrung. Sich auf den Atem oder den Herzschlag zu konzentrieren, helfe. Manchmal tritt sie auch ins Gespräch mit ihren Gedanken und bittet sie, dem grossen Du Platz zu geben. «Dann ziehen sie langsam weg wie Wolken, und es wird still.»

Ruhe nach dem Trommeln

Dass im Tempel alle Sinne angesprochen werden, helfe den Menschen, zur Ruhe zu kommen, sagt Sasikumar Tharmalingam, Priester der Hindugemeinschaft Saivanerikoodam im Berner Haus der Reli­gionen. Räucherstäbchen, Trommeln und Muschelhörner, bunte Malereien und Dekorationen und zuletzt das feine Essen, all das helfe, sich auf diesen Ort zu konzentrieren. «Das ist der Eintritt für die grosse Ruhe», sagt der Priester. Der dreimalige Ruf «Sahndi, Sahndi, Sahndi», was ewige Ruhe bedeutet, eröffnet im Tempel eine mindestens fünf Minuten lange, stille Meditation. «Nur in der unendlichen Stille kann man sich wirklich mit Gott verbinden», glaubt Tharmalingam.

Selber meditiert der Priester morgens und abends. Und immer wieder schweigt er ein oder zwei Tage lang konsequent. «Der Ort, an dem man Gott begegnet, ist ein wortloser Ort. Dort wird man Teil der gesamten Energie.» Doch beschreiben lasse sich dieser Zustand nicht wirklich. «Kaum fasst man ihn in ­Worte, ist er auch schon wieder weg.»