Wenn Körper und Geist den Weg zur Ruhe gehen

Claudia Nothelfer und Susanne Birke praktizieren Meditationsformen, die östliche und christliche Traditionen verbinden. Ob sitzend, stehend oder gehend: Der Atem führt die Bewegung und zentriert.

 

Interview: Marie-Christine Andres

Foto: Pascale Amez

 

Claudia Nothelfer, Sie verbinden christliche Kontemplation mit buddhistischem Za-Zen. Welche Körperhaltung nehmen Sie beim Meditieren ein?

Claudia Nothelfer: Wir sprechen sowohl von einer äusseren wie auch einer inneren Haltung. Diese beiden Körperhaltungen entsprechen dem Za-Zen, der Sitzmeditation: eine entspannte, gelöste Meditationshaltung, die dennoch Entschiedenheit ausdrückt. Der Körper ruht stabil auf einem Kissen oder einem Stuhl. Wirbelsäule und Kopf sind aufrecht, der Nacken lang, der Blick geht zum Boden. Die innere Haltung meint die Zentrierung im Atem, der natürlich fliesst, sowie das Ziehenlassen der Gedanken.

Und was bewirkt diese äussere Haltung im mentalen Bereich?

Nothelfer: Den klar geregelten Rahmen dieser Meditation habe ich zu Beginn meiner Praxis als streng und karg empfunden. Inzwischen bin ich seit 26 Jahren dran und überzeugt, dass diese klare Haltung tiefere Meditationserfahrungen erst ermöglicht. Pia Gyger, Mitbegründerin der Kontemplationsschule via integralis, sagte von dieser Haltung, sie sei die «via direttissima» in die Tiefe. Wir kommen in Verbindung mit unserer eigenen Seelentiefe und dem Urgrund des Lebens. Mit der Zeit zeigen sich eine Fülle von «Früchten», die in die Lebenshaltung hineinwirken, wie Mitgefühl, Achtsamkeit, Klarheit und Liebesfähigkeit. Wir sitzen nicht nur für uns, sondern für die Welt.

Die römisch-katholische Theologin meditiert seit 26 Jahren. Sie unterrichtet in der Kontemplationsschule via integralis und bei Bildung und Propstei der römisch-katholischen Kirche im Kanton Aargau.
Claudia Nothelfer, 58 Die römisch-katholische Theologin meditiert seit 26 Jahren. Sie unterrichtet in der Kontemplations-schule via integralis und bei Bildung und Propstei der römisch-katholischen Kirche im Kanton Aargau.

Die Bändigung des Bewegungstriebes, körperlich und gedanklich, ist also wichtig, um die Wirkungen dieser Meditation zu erfahren. Was ist schwieriger zu kontrollieren, der Körper oder der Geist?

Nothelfer: Das Schwierigste ist, gar nichts mehr zu kontrollieren, sondern einfach zuzulassen, seinzulassen und loszulassen. Es geht um das wohlwollende Wahrnehmen des Lebens im Hier und Jetzt. Die beschriebene Haltung hilft, dass Körper und Geist in Ruhe vereint sind und die Gedanken nicht ständig davonlaufen. Eine wichtige Rolle spielt dabei der Atem. Man kann nicht auf Vorrat atmen und nicht im Nachhinein. Atem fördert die Präsenz im Hier und Jetzt.

Könnte der Atem als Bindeglied zwischen Körper und Geist bezeichnet werden?

Susanne Birke: Ja. Der Atem kommt und geht von allein, wir können ihn aber willentlich verändern oder einfach nur bewusst wahrnehmen, ohne dabei einzugreifen.

Nothelfer: Bei der Zen-Sitzhaltung fliesst der Atem entspannt in den Bauch. Wenn der Körper gut im «Hara» verankert ist, laufen die Nervenbahnen vom Unterbauch über die gerade aufgerichtete Wirbelsäule hinauf bis in den Kopf. So fühlen wir uns geistig klar und können längere Zeit sitzen – ohne dabei zu ermüden.

Seit 30 Jahren praktiziert die Theologin Bewegungs-meditation. Sie ist als Atemtherapeutin und QiGongShibashi- Lehrerin tätig wie auch bei Bildung und Propstei der römisch-katholischen Kirche im Kanton Aargau.
Susanne Andrea Birke, 52 Seit 30 Jahren praktiziert die Theologin Bewegungs-meditation. Sie ist als Atemtherapeutin und QiGongShibashi- Lehrerin tätig wie auch bei Bildung und Propstei der römisch-katholischen Kirche im Kanton Aargau.

Shibashi ist ein Bewegungsmantra, das von der Wiederholung lebt. Was bewirkt Bewegung mental?

Birke: Ein wichtiger Aspekt im Shibashi ist, sich durch einfache Körperbewegungen selbst zu harmonisieren und sich mit dem Ganzen zu verbinden – mit den Menschen, mit der Welt, mit dem Urgrund, aus dem alles kommt. Weil diese Erfahrung über den Körper aufgebaut wird, fördert Shibashi ein klares, positives Ja zur Leiblichkeit.

Fällt der Zugang zum Meditieren leichter, wenn er über die Bewegung geschieht?

Birke: Das ist sehr individuell. Menschen haben unterschiedliche Körper, und sie machen verschiedene Erfahrungen mit ihrer Leiblichkeit. Einzelne Bewegungen können erst einmal schwerfallen oder manchmal auch unangenehme Gefühle auslösen. Dadurch erfahren wir etwas über uns selbst. Welche Meditationsform aber etwas auslöst, ist eine Typfrage. Und welche Bewegungen einem zusagen, ist nicht zuletzt abhängig von der Lebensphase und den Themen, die einen gerade aktuell beschäftigen.

Warum?

Birke: Ein persönliches Beispiel: Ich konnte in jungen Jahren mit dem Begriff Demut gar nichts anfangen. Heute aber hat Demut für mich einen Sinn bekommen, und ich verneige mich körperlich und geistig vor dem Geheimnis des Lebens. Einerseits erkenne ich mit der Verneigung meine eigene Begrenztheit gegenüber dem grossen Ganzen an, andererseits bin ich mir aber auch bewusst, selbst Teil dieses Geheimnisses zu sein.