Dreh dich in den Körper und spick dich in den Himmel

Tanz ist mehr als Geselligkeit oder Kunst. Stampfend, schwitzend und drehend sucht der Körper den Weg zur Ekstase und zu Gott. Ein Überblick über die Tanztraditionen in den verschiedenen Religionen.

 

Text: Katharina Kilchenmann

Foto: Pascale Amez

 

Getanzt wird in allen Religionen. Die Derwische in der islamischen Mystik haben ihre Drehtänze, der Hindugott Shiva erschafft mit seinem Freudentanz das Universum, und Anhänger der afrobrasilianischen Candombe-Bewegung erweisen tanzend ihren Göttern die Ehre. «Tanz und Religion sind seit jeher eng miteinander verbunden», meint die Tänzerin und Choreografin Karin Hermes.

«Und in genau dieser Lebendigkeit ist die religiöse Dimension unseres Seins erlebbar.»

«Beim Tanzen ist immer der ganze Mensch involviert, mit seinem Körper, seinen Gefühlen und Gedanken. Die Kanäle öffnen sich, die zu sich selber, zur Welt und zu Gott», sagt die Tanzexpertin. Wer sich intensiv bewege, schwitze, atme, in Fluss und Ekstase komme, fühle sich lebendig, führt Hermes weiter aus. «Und in genau dieser Lebendigkeit ist die religiöse Dimension unseres Seins erlebbar.»

Tanzender Tod

Auch in der christlichen Tradition gehörten noch bis ins Mittelalter Tänze und Gebetsgebärden dazu. Seither jedoch herrsche in allen christlichen Konfessionen ein eher körperfeindliches und damit tanzfeindliches Klima, erklärt Hermes. «Obwohl das Christentum in seiner Geschichte Musik, Kunst und Architektur prägend beeinflusst hat, konnte sich keine Tanzkultur entwickeln.» Dabei wird im Alten Testament sehr wohl getanzt: Miriam tanzt nach dem Durchzug durch das Schilfmeer, David vor der Bundeslade, und die Weisheit tanzt in Gestalt einer Frau vor Gott zu Beginn der Schöpfung.

In den mittelalterlichen Darstellungen des Totentanzes führt der Tod mit scheinbar tänzerischer Leichtigkeit die Menschen in sein dunkles Reich, und seit Jahrhunderten taucht auch das Motiv des tanzenden Christus auf.

Müde, aber glücklich

Christus tanzend am Kreuz? Wie gehen Leid und Tanz, Leichtigkeit und Schmerz zusammen? Als klassisch ausgebildete Balletttänzerin weiss Hermes, wie anstrengend Tanzen sein kann: Was leicht aussieht, ist oft hart erarbeitet. Vieles kann trainiert und einstudiert werden, doch nicht alles. Wer intensiv tanzt, ist mit physischen Grenzen konfrontiert und damit, dass der Körper verletzlich und nicht beherrschbar ist. «Das fördert die Demut und das Bewusstsein der Endlichkeit.» Insgesamt seien Tänzerinnen und Tänzer aber glückliche Menschen. «Nach Proben und Aufführungen bin ich körperlich und mental oft erschöpft, aber zufrieden, ausgeglichen und dankbar.»

An der Hochschule der Künste in Bern unterrichtet Hermes Tanzvermittlung und inszeniert Profis und Laiengruppen auf Bühnen und in Kirchen. Dabei ist die Auseinandersetzung mit den Tanzenden, den Gegebenheiten des Raums und natürlich mit den Inhalten der Kern ihrer Arbeit. «In der künstlerischen Suche, im kreativen Prozess bin ich persönlich auch immer wieder im Dialog mit Gott oder, etwas allgemeiner, mit Spiritualität. Das macht die Arbeit ausserordentlich reich.»

Ritual und Schauspiel

Im tibetischen Buddhismus tanzen nur die Mönche. Cham heissen die Tanzfeste, die jeweils rund um den Jahreswechsel stattfinden. Mönche in schweren und bunten Kostümen, mit Masken, schwarzen Hüten oder Waffen und Schilden ausgestattet, ziehen durch den Klosterhof. Trommeln geben den Takt an, der Klang der Hörner dröhnt durch den ganzen Ort, und mit streng ritualisierten Schritten bringen die Tänzer den Boden zum Beben.

«Wie beim Meditieren im Sitzen, Stehen, Liegen oder Gehen dient auch die Bewegung beim Tanzen dazu, den Körper wahrzunehmen und präsent zu werden.»

«Die Prozession ist Ritual und Schauspiel zugleich», sagt Losang Palmo. Als die Buddhistin 17 Jahre lang im indischen Dharamsala lebte, war sie mehrmals bei Tempeltänzen im benachbarten Ladakh dabei. In den getanzten Geschichten kommen religiöse Figuren des Buddhismus ebenso vor wie Dämonen und mystische Wesen. «Religion und Kultur vermischen sich hier. Es ist daher kein Widerspruch, wenn sowohl Gläubige als auch Touristen an der Zeremonie teilnehmen.» Zu Ehren der Götter und zum Nutzen der Menschen werde hier getanzt.

«Immer mit dem Ziel, Bewusstsein zu erlangen, inneren Frieden und Mitgefühl», sagt die gebürtige Zürcherin, die das Buddhistische Zentrum in Bern leitet. «Wie beim Meditieren im Sitzen, Stehen, Liegen oder Gehen dient auch die Bewegung beim Tanzen dazu, den Körper wahrzunehmen und präsent zu werden.»