Trompetespielen ist für Franz Osswald wie Beten ohne Worte. Er berichtet vom Austarieren der inneren und äusseren Balance.
Text: Franz Osswald
Foto: Pascale Amez
Wenn ich in meiner Jugend betete, tat ich dies mit geneigtem Kopf und verschränkten Händen. Heute sitze ich aufrecht mit den Handflächen nach oben. Diese veränderte Gebetshaltung drückt aus, dass sich meine innere Einstellung zum Glauben weiterentwickelt hat. Meine Überzeugung hat sich mit den Jahren geweitet, was zum Öffnen meiner Handflächen geführt hat.
Nicht nur beim Beten wirkt sich die Körperhaltung aus, auch beim Musizieren. Ich spiele seit vielen Jahren Trompete, und bekanntermassen erzeugt hier nicht, wie etwa beim Klavier, das Instrument den Ton, sondern der Bläser oder die Bläserin. Durch eine ganz bestimmte Zungenstellung, meine schwingende Oberlippe und mit der passenden Menge Luft lasse ich den Ton entstehen. Das fühlt sich für mich an wie das Sprechen eines Gebets. Auch dort bewege ich Zunge und Lippen, um die Worte zu formen. Beim Musizieren allerdings ist es ein «Lippenbekenntnis» ohne Worte.
Dynamik und Atem
Die Trompete besitzt lediglich drei Ventile, damit können aber alle Töne gespielt werden: Ohne auch nur ein Ventil zu drücken, bringe ich mit einer veränderten Lippen- und Zungenstellung sowie einem angepassten Luftdruck zum Beispiel die Töne C, E und G hervor. Je geübter mein Körper ist, desto höher kann ich spielen. Damit ich aber den richtigen Ton treffe, muss ich eine Vorstellung der Tonhöhe haben. Und diese Vorstellung beeinflusst den Körper und den Atem.
Damit mir dies gelingt, kann ich das Stück beispielsweise singen. Nebst der Tonhöhe spielt auch die Dynamik des Stücks für die innere Haltung eine wichtige Rolle. Nur so stellen sich Lippen, Zunge und Luftführung auf mein Ziel ein, ermöglichen, dass ich die richtigen Töne treffe und das Stück wie beabsichtigt interpretiere.
Blockaden lösen
Wie beim Beten muss ich beim Spiel der Trompete wissen, was ich bezwecke. Wenn ich eine laute Fanfare schmettere, stehe ich anders da, als wenn ich eine zarte Melodie vortrage. Bei der Fanfare stehe ich mit gestrecktem Körper und festem Bodenkontakt, bei der zarten Melodie hingegen mit lockerem Köper und sich leicht bewegenden Füssen. Das Äussere kommuniziert hier somit mit dem Inneren, und es entsteht ein Gleichgewicht, ja eine lebendige Balance, die es beim Musizieren unbedingt braucht. Doch was, wenn diese fehlt?
«Und siehe da, plötzlich stocke ich an der fraglichen Stelle nicht mehr.»
Es kommt vor, dass ich etwa beim Üben einer Tonleiter immer an der gleichen Stelle stecken bleibe. Da kann eine äussere Haltung helfen, die innere Einstellung zu unterstützen – wie die früher erwähnten nach oben geöffneten Handflächen beim Beten. Beim Üben heisst das etwa, dass ich während dem Spielen der Tonleiter mit sich kreuzenden Füssen vorwärtslaufe. Und siehe da, plötzlich stocke ich an der fraglichen Stelle nicht mehr. Die physische Übung hat meine geistige Blockade gelöst. Für mich ein klares Zeichen, dass sich die innere und äussere Haltung beeinflussen – egal, ob dies beim Beten oder beim Musizieren ist.