«Mode ist da, wo Religion nicht ist»

Die Literaturwissenschaftlerin Barbara Vinken wagt eine Zeitreise und erklärt, was Mode ausmacht.

 

Text: Barbara Vinken
Foto: Diane von Schoen

 

Mode und Religion, das war in der westlichen Moderne bis in die Acht­zigerjahre des 20. Jahrhunderts kein Thema. Denn Mode ist da, wo Religion nicht ist. Die Religionen, die, wie die textile Metapher so schön sagt, den neuen Menschen angezogen haben, zeigen das in ihren Kleidern: Die Weltentsagung der Mönche und Nonnen spiegelt sich in ihren ­unscheinbaren Kutten. Die prunkenden, kultischen Gewänder der vatikanischen Heilsverwalter weckten Widerstand.

Oberflächlich-eitel
Sie erschienen den die wahre Religion vertretenden Reformern als tyrannisch-heidnisch. Denselben strengen Reformgeist riefen die roten Pradaschuhe des letzten Papstes hervor. Die Reformatoren stellten all dem die schwarzen Talare entgegen. Die sollten Widerspruch zur sinnlich-oberflächlichen Eitelkeit der Welt sein, für welche die Mode in der Moderne zur Kurzformel geworden ist. Natürlich haben die Schnitte der Nonnengewänder und Mönchskutten, die Soutanen der Priester, die Kleider der Rabbiner Einfluss auf die Mode gehabt.

Natürlich spielt auch die religiöse Ikonografie vorzugsweise in ihrer ersten Pop­variante des 19. Jahrhunderts, eine Rolle; man denke nur an das Herz Jesu. Es gibt in der westlichen, säkularen Moderne massenweise religiöse Zitate in der Mode, aber eben keine religiöse Mode. Wenn Fellini Messgewänder auf Rollschuhen um einen Swimmingpool tanzen lässt, ist das eine Satire auf die Eitelkeit des Klerus – und Verbeugung vor der farbenpräch­tigen Schönheit dieser Gewänder. Sicher gab es immer religiöse Gemeinschaften, die sich in der Welt durch ihre Kleider definierten wie die Quäker oder die Chassidim. ­

Hinterwäldlerisch-unmodern
Diese Kleidung, die jeden die Reli­gion seines Gegenübers erkennen lässt, hat dieselbe Funktion wie die Tracht. Und zu der meinte deshalb Friedrich Nietzsche: «Überall, wo noch die Unwissenheit, die Unreinlichkeit, der Aberglaube im Schwange sind, wo der Verkehr lahm, die Landwirtschaft armselig, die Priesterschaft mächtig ist, da finden sich auch noch die Nationaltrachten. ­Dagegen herrscht die Mode, wo die Anzeichen des Ent­gegengesetzten sich finden.»

Aus der Perspektive aufgeklärter Europäer und Europäerinnen sind diese Gemeinschaften eben, um es mit Nietzsche zu sagen, hinterwäldlerisch und nicht in der Moderne angekommen. Das letzte Stück Stoff, das aus ­diesem Grund Tintenbäche hat fliessen lassen, war ein religiöses Kleidungs­stück: das ­islamische Kopftuch. Es sei hinterwäldlerisch, unterdrücke, mache unfrei. Spätestens mit Modest Fashion ist das Kopftuch in der Mode und damit in der Moderne angekommen. Denn es ist wichtiger, wie es getragen wird, als dass es getragen wird. Und genau das macht ­Mode aus.

Barbara Vinken befasst sich mit Mode und Stilfragen. 2013 erschien ihr
Buch ­«Angezogen. Das Geheimnis der Mode».